Werd ein Narr

Wirst du geboren und trittst ein in das Leben,
ist dir ein Teil deines Weges schon vorgegeben.
Es sind die Eltern, die dich führen, begleiten,
dich mit sorgender Hand durch die Kindheit geleiten.

Dann wirst du erwachsen, beginnst es zu spüren
und läßt dich immer weniger führen.
Fängst an, dir selbst ein Ziel vorzugeben,
suchst dir allein den Weg durch das Leben.

Jetzt weißt du genau, was richtig und wahr;
dein Ziel erscheint ganz deutlich und klar.
Eilig voran! Nur nicht verharren!
Vorbei an den Alten, den Müden, den Narren!

Doch schnell bist du vom Weg abgekommen,
das klare Ziel ist plötzlich verschwommen:
Die Schritte zögern - noch bist du bereit,
da fühlst du die Angst, siehst die Dunkelheit.

„Soll das schon das Ende der Reise sein?“
Du weißt nicht mehr aus; du weißt nicht mehr ein.
Daß du dich verlaufen, wird dir nun bewußt:
Stählerne Furcht umschließt deine Brust.

In der Finsternis Schritte. Eine Stimme, die spricht:
„Warum hast du Angst? Verzweifele nicht!
Frag nicht, was richtig, vernünftig und wahr,
nimm nicht alles so ernst! Mach's wie ich: Werd ein Narr!“

Dann ist das Leben für dich nur ein Spiel;
Narren verlaufen sich nicht, denn sie haben kein Ziel
und sind dennoch am Ende der letzten Reise,
dem Ziel nicht entfernter als der Weise."

Da beginnen sich eckige Kreise zu schließen
und Widersprüche ineinander zu fließen.
Und dein Verstand - bisher nüchtern und klar -
wird zum Genie - und du wirst ein Narr.


Hans Schletz

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Hans Schletz

1948


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